Merkantiler Minderwert: Was Ihnen die Versicherung für Ihren Wertverlust zahlt
Nach einem Unfall müssen die beteiligten Fahrzeuge wieder instandgesetzt werden. In der Regel führt eine Werkstatt die Reparaturen durch und die Versicherung kommt für den Schaden und allerlei Ansprüche drumherum auf. Doch wie steht es um den Wertverlust, den der Wagen erleidet? Schließlich handelt es sich jetzt um ein Unfallauto. Merkantiler Minderwert nennt sich dieser Verlust. Alles, was Sie darüber wissen sollten.
Ein Unfall ist immer ein unschönes Erlebnis, das alle Beteiligten nach der Überwindung des ersten Schocks über Gebühr fordert. Wenn der Unfallsachverhalt klar und die Schuldfrage geklärt ist, geht es an die Regulierung des Schadens. Bei der Minderung des Wertes gibt es einige Fallstricke, denn es handelt sich um eine rein fiktive Summe.
Minderwert ist nicht gleich Minderwert
Das deutsche Recht unterschiedet zwischen zwei verschiedenen Varianten des Minderwerts. Zum einen wird der technische Wertverlust betrachtet, zum anderen der merkantile.
Ersterer entsteht immer dann, wenn es der Werkstatt auch durch eine fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs nicht möglich sein wird, den Wagen in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Dieser Wert kommt oftmals nicht zum Tragen, da der Wagen nach dem Werkstattbesuch zumindest aus technischer Sicht wieder einwandfrei funktioniert.
Der Minderwert hingegen wird dann an den Geschädigten ausgezahlt, wenn der Wagen nach der Instandsetzung nicht zum gleichen Preis verkauft werden kann. Da dies fast immer der Fall ist, haben die meisten Autofahrerinnen und Autofahrer, die aus einem Zusammenstoß als Geschädigte hervorgehen, auch Anspruch auf diese Leistung, die ihnen der gegnerische Versicherer zahlen muss.
Wie sich der Minderwert zusammensetzt
Das Prinzip hinter der Berechnung des Wertverlusts ist simpel. Im Zentrum steht die Frage, wie viel weniger der reparierte Unfallwagen beim Verkauf einbringen wird als das noch unfallfreie Fahrzeug. Der Differenzbetrag steht nach deutschem Verkehrsrecht dem Geschädigten zu, der mit seinem Unfallwagen auf dem Markt einen niedrigeren Preis erzielt.
Das Problem dabei: Der Merkantile Minderwert ist rein fiktiv – er wird anhand des Umfangs des Schadens sowie des Fahrzeugalters berechnet. Es gibt verschiedene Methoden, um den Wert zu berechnen – und sie alle unterscheiden sich hinsichtlich der Summen, die am Ende dabei herauskommen. Entsprechend viel Potenzial für Streitigkeiten steckt in diesen Formeln.
Diese Methoden gibt es:
Ruhkopf und Sahm
Dies ist die favorisierte Methode des Bundesgerichtshofs. Neben den Reparaturkosten und dem Veräußerungswert werden auch der ursprüngliche Neupreis und das Alter des Fahrzeugs berücksichtigt. Im Falle eines Bagatell- oder Totalschadens wird der Minderwert ausgeschlossen; außerdem dann, wenn das berechnete Wertverhältnis unstimmig ist.
So sieht die Formel aus:
Minderwert = (Verkaufspreis + Reparaturkosten) x Xr ÷ 100
Xr steht dabei für den Altersfaktor des Wagens. So wird er berechnet: 100 x Reparaturkosten ÷ Verkaufspreis.
MFM (Marktrelevanz- und Faktorenmethode)
Hier werden neben technischen auch rechtliche Aspekte berücksichtigt. So finden Faktoren für Vorschäden und Marktgängigkeit ebenso Berücksichtigung wie der Umfang des Schadens, die Korrektur des Alters, der Neupreis, die Reparaturkosten und der Verkaufswert.
Das ist die Formel:
Minderwert = [(Verkaufspreis÷ 100) + ( Verkaufspreis ÷ Neupreis x Reparaturkosten x Schadensumfang x Alterskorrektur)] x Faktor Marktgängigkeit x Faktor Vorschaden
Halbgewachs
Hier werden die Reparaturkosten, der ehemalige Neupreis, das Alter des Fahrzeugs und der Veräußerungswert in Relation gesetzt. Es gibt eine Obergrenze für den Minderwert. Keine Entschädigung gibt es nach dieser Berechnung, wenn der Wagen älter als 72 Monate ist, der Verkaufswert unter 40 Prozent des Neupreises liegt und die Reparatur weniger kostet als zehn Prozent des Neupreises.
So sieht die Formel im Detail aus:
Minderwert = X x (Verkaufspreis + Gesamtreparaturkosten) ÷ 100
X = Summe aus dem Wertverhältnis (W), dem Kostenverhältnis (K) und dem Aufwandsverhältnis (A):
W = 100 x Verkaufspreis ÷ Neupreis
A = 100 x Lohnkosten ÷ Materialkosten
K = 100 x Gesamtreparaturkosten ÷ Veräußerungswert
Hamburger Modell
Eine besonders alte Formel für die Berechnung des Wertverlusts ist das Hamburger Modell. 1981 ersann das hiesige Oberlandesgericht diese Berechnung, die mit Arbeitslohn der Instandsetzung, aller Karosseriearbeiten sowie den Gesamtreparaturkosten kalkuliert. Zudem fließt eine Quote in die Berechnung ein, die sich aus der Laufleistung des Wagens ergibt. Diese liegt zwischen 30 Prozent bei weniger als 20.000 Kilometern bis hin zu 0 Prozent bei mehr als 100.000 Kilometern.
Und das ist die Formel:
Minderwert= (Richtarbeiten/Karosseriearbeiten) x Gesamtreparaturkosten x Quote
BVSK (Methode des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen)
Seit 2003 existiert diese Formel, die mit Korrekturfaktoren für bestehende Unfallschäden und Marktgängigkeit sowie dem Wiederbeschaffungswert des Wagens und einem Prozentwert für die Intensität des Schadens arbeitet.
Dies ist die Formel:
Minderwert = Wiederbeschaffungswert x K-Faktor x (%-Wert + M-Wert) ÷ 100
K-Faktor = Zuordnung des Schadens, M-Wert = Marktgängigkeit.
Aus welchen Gründen es zu Streitigkeiten kommt
Versicherungen sind geradezu meisterlich darin, die ihnen auferlegte Kosten in Zweifel zu ziehen und sich somit um die Bezahlung zu drücken. Dies ist auch bei der Wertminderung der Fall.
Noch vor einigen Jahren war etwa die Ansicht weit verbreitet, ein sehr altes Fahrzeug mit vielen Kilometern auf dem Tacho führe nicht zu einem Anspruch auf dem merkantilen Minderwert. 2005 entschied der Bundesgerichtshof jedoch, dass auch Fahrzeuge mit Laufleistungen von 150.000 Kilometern und mehr Anspruch auf den Minderwert haben. 2015 wurde dieses Urteil bestätigt.
Auch bei Nutzfahrzeugen kann die Wertminderung zu Geld gemacht werden – allerdings handelt es sich hier stets um individuelle Entscheidungen. Trotz eines Schadens in Höhe von rund 17.000 Euro erhielt ein Geschädigter keinen Minderwert. Begründung der Richter: Die Reparatur sei so teuer, weil es sich um ein Luxusfahrzeug handele. Da es sich aber dem Bild nach um einen Bagatellschaden handelte, stehe dem Geschädigten diese Summe nicht zu. Eine klare Bagatellgrenze gibt es allerdings nicht. Heißt: Auch Fahrzeuge, die nur einen Bagatellschaden erlitten haben, kommen grundsätzlich für die Wertminderung infrage. Übrigens: Auch bei Schäden an Oldtimern wird der Minderwert gezahlt.
FAQ – Häufig gestellte Fragen
Gemeint ist der Wertverlust, den der Wagen trotz der fachgerecht ausgeführten Reparatur erleidet.
Das lässt sich pauschal kaum sagen. Während vor allem Neuwagen besonders stark betroffen sind, wirkt sich das Ganze bei Gebrauchten weit weniger stark aus. Ist der Pkw älter als fünf Jahre, spielt der Wertverlust meist keine Rolle mehr.
Ja. Zuständig für diese Erstattung ist die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners.